Die Kopie

Seminar SS 19

Claudia Schmidt

Originalität und Authentizität sind in der Welt kulturellen Schaffens und im Zeitalter der Medialisierung zur Kernwährung des Architekten geworden. Kopien, Replikate, Nachahmungen - oder wie auch immer man es nennen mag - gelten dahingegen seit der Moderne als Anathema in westlichen Kulturkreisen. Kopien werden gemeinhin als minderwertig, unecht oder kitschig verstanden und sind rechtlich gesehen unter Umständen sogar illegal. Dabei ist das Kopieren ein wesentlicher Bestandteil kultureller Produktionstechniken und Grundlage unserer auf Serialität und Standards ausgerichteten Produktionsweisen. Die Frage nach einem neuen Verständnis von Kopie und Authentizität, die bereits Walter Benjamin 1936 in seinem Werk "Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit" zu Beginn der modernen Massenproduktion behandelte, ist nicht zuletzt durch die Digitalisierung und mit dem Verschwinden des Originals, wie es Jean Baudrillard später bezeichnet hat, wieder in den Fokus kritischer Beobachtung gerückt.

Aber nicht nur in den Kunst-, Kultur- und Rechtswissenschaften ist die Kopie ein Thema, sondern auch in der Architektur und dem Städtebau gewinnt das Thema heute wieder zunehmend an Bedeutung. Dies kann unter anderem als Reaktion auf die exzessiven Bemühungen um zwanghafte Originalität verstanden werden, die sich in der ständigen Forderung nach ikonischen Entwürfen und der Entstehung des Star-Architekten in den letzten Jahrzehnten widerspiegelt, aber auch daran, dass an anderer Stelle ganz unverhohlen und direkt kopiert und ganze Schlösser und mittelalterliche Innenstädte wieder nach Vorlage - mal mehr oder mal weniger genau - aufgebaut werden. Was in China von westlichen Kritikern als kulturlose Disneyfication bezeichnet wird, gilt hierzulande als kritische Stadtrekonstruktion zum Zwecke des allgemeinen Wohlbefindens und der Schließung geschichtlicher Wunden mit dem Anspruch, ernsthafte städtebauliche Praxis zu sein. In dem Spannungsfeld aus künstlerischem Anspruch, historischer Bezugnahme, Denkmalschutz und Urheberrecht nehmen der Begriff der Kopie und die mit ihm verknüpften Begriffe Authentizität und Originalität eine nicht immer eindeutige und bisweilen hoch emotional aufgeladene und umstrittene Position ein.

Daher wollen wir uns dieses Semester mit dem Begriff der Kopie auseinandersetzen und diesen als Ausgangspunkt für eine Reihe damit verknüpften Themen, Meinungen und Strömungen in der Architektur und im Städtebau nehmen. Dabei soll die Vielschichtigkeit des Begriffs und seine kulturellen und methodischen Implikationen und Bedeutung anhand von Texten aus den Kunst-, Kulturwissenschaften sowie anhand von konkreten Bauvorhaben und Praktiken beleuchtet
werden. Insbesondere die Rolle der Kopie für die Produktion von Architektur und Stadt wird dabei immer wieder zur Sprache kommen. Das Seminar wird zudem im Rahmen eines Stegreifs das Potenzial der Kopie als Entwurfsmethode testen und kritisch betrachten.


Lehrende

Prof. Andreas Quednau
WM Leonhard Clemens