URBANE INTELLIGENZ

Es besteht seit langem Konsens darüber, dass Städte ein besonders innovationsförderndes Umfeld bieten. Aber lange Zeit konnte sich die Wissenschaft diesem Phänomen nur durch Beobachtungen und Theorien nähern. Erst seit einigen Jahren haben Chaosforschung und Komplexitätstheorie neue Einblicke in die Funktionsweisen sozialer Netzwerke ermöglicht und neue Erklärungen für das Zustandekommen von Innovationen angeboten. Welche Bedeutung dem Raum in diesem Zusammenhang zukommt, wurde bisher aber kaum erforscht. Hier setzt das Forschungsinteresse der Abteilung für Stadt- und Raumentwicklung an.

Ideen und Innovationen sind selten das Werk Einzelner. Selbst ein Genie kann seine Innovationen nicht ohne andere Menschen und ohne vorhandenes Wissen zustande bringen. Egal ob die Glühbirne (Thomas Edison), das Automobil (Carl Benz) oder das Smartphone (Steve Jobs) – diese und viele andere große Erfindungen sind nicht aus dem Nichts entstanden, sondern bauen auf dem Wissen und der Interaktion vieler Menschen auf. Folglich finden Ideen und Innovationen dort den besten Nährboden, wo viele Menschen Informationen miteinander austauschen und kombinieren können. Es ist daher naheliegend, dass Städte besonders innovationsfördernd sind, denn dort tritt potenziell eine große Zahl von Menschen und Institutionen miteinander in den Austausch.

Bestätigung für diese Annahme findet man in der Geschichtsschreibung. Unzählige Innovationen aus Kunst, Technik und Wissenschaft sind dokumentiert, die in Städten hervorgebracht wurden – und es galten zahlreiche Städte als besonders innovativ: zum Beispiel Uruk zur Zeit der sumerischen Kultur; Athen, Alexandria und Rom in der Antike; Florenz und Venedig während der Renaissance; Amsterdam im Goldenen Zeitalter; oder Manchester zu Beginn der industriellen Revolution. Aber was war das Geheimnis dieser Städte? Was haben sie gemeinsam und was unterscheidet sie von weniger innovativen Städten? Und schließlich die Frage, die für die Disziplin Städtebau von besonderem Interesse ist: Welche Bedeutung hatte der städtische Raum für das Zustandekommen von Ideen und Innovationen?

Zunächst waren es die Wirtschaftswissenschaften, die versucht haben, dem Geheimnis innovativer Städte auf die Spur zu kommen. Bereits 1890 fragte Alfred Marshall, einer der Gründerväter der modernen Wirtschaftswissenschaften, warum gleichartige Unternehmen so häufig räumliche Cluster bilden. Er stellte fest, dass in Städten etwas "in der Luft" liege und fand auch eine Erklärung für die Clusterbildung: "...wenn ein Mann eine neue Idee hat, wird sie von anderen aufgegriffen und mit eigenen Vorschlägen kombiniert; und so wird sie zur Quelle weiterer neuer Ideen." Auch in der Sozialforschung wuchs das Interesse an der Produktivität und Innovationskraft von Städten. Besonders in den 1960er Jahren lieferten Jane Jacobs und andere Forscher*innen erste Beobachtungen über die emergenten Eigenschaften städtischer urbaner Netzwerke.

In den vergangenen Jahren haben die Chaosforschung und die Komplexitätstheorie neue Einblicke in die Funktionsweisen urbaner Netzwerke ermöglicht. Sie konnten Gesetzmäßigkeiten in der Struktur und Funktionsweise solcher Netzwerke feststellen und bei der Verbreitung von Wissen wiederkehrende Muster erkennen. Weitgehend unerforscht ist in diesem Zusammenhang aber, welche Bedeutung dem Raum zukommt. Welchen Einfluss haben architektonische und städtische Räume auf die Entstehung und Verbreitung von Innovationen? Hier setzt das Forschungsinteresse der Abteilung für Stadt- und Raumentwicklung an.